De-Risking, Compliance und China Exit

Ein Interview mit Philipp Senff, Rechtsanwalt, Partner und Head of Compliance bei CMS China

Herr Senff, wenn Sie auf 2023 zurückblicken, welches Thema war in Ihrer Compliance-Beratung besonders wichtig? Und gab es etwas Neues?

Senff: Anfang 2023 wurden nach 3 Jahren die Corona-bedingten Reise-Restriktionen in China aufgehoben. Daraufhin konnten Geschäftsleute aus dem Ausland, auch Chief Compliance Officer aus Deutschland, wieder nach China fliegen. Dies war in den 3 Jahren zuvor nicht möglich. Compliance Audits und Internal Audits konnten bei deutschen Tochtergesellschaften wieder vor Ort durchgeführt werden. Dabei wurde auch festgestellt, dass sich das Internal Controlling in der Corona-Zeit ganz erheblich zurück entwickelt hat. Der Weg vom schwachen Internal Controlling zur Korruption ist nicht weit. 

Was hat dies für Ihr Team bedeutet?

Senff: Compliance und Internal Audits, die in der Corona-Zeit nicht oder nur kaum durchgeführt werden konnten, werden nun nachgeholt. Wir sehen dies ganz konkret bei unseren Projekten.

Was haben Sie konkret festgestellt?

Senff: Ein Beispiel: Die Einstellung von lokalen CEOs und CFOs in der Corona-Zeit konnte häufig nur virtuell über Videokonferenzen erfolgen. Dabei wurden offensichtlich nicht immer die „richtigen“ Kandidaten eingestellt. Dies wird nun korrigiert. Unqualifiziertes Management wird Schritt für Schritt ersetzt. Dies betraf auch Management, die ein ungenügendes Verständnis von Compliance hatten. Und zwar deutsche wie auch chinesische Manager. Wenn der „Tone of the Top“ in der Unternehmensleitung fehlt, wird sich dies unmittelbar auswirken. Die Vorbildfunktion fehlt und die Risiken, wenn ich dies so sagen darf, steigen signifikant. 

Welche Risiken? 

Senff: Betrug und Kickbacks im Einkauf, weil zu teuer eingekauft wurde. Korruption im Vertrieb, weil unter Preis und / oder über Mittelsmänner verkauft wurde. Dies führt konkret zu finanziellen Schäden im Unternehmen. Überhöhte Beschaffungskosten und reduzierter Umsatz sind Gift für das Unternehmen. Das Unternehmen wird ausgenommen. Hinzu kommen die Haftungsrisiken, die zu späterer Zeit eintreten können. Anders als in Deutschland besteht in China ein Unternehmensstrafrecht und die Geldstrafen für Unternehmen sind häufig nicht gedeckelt. Zudem können Unternehmen in China im Rahmen des Sozialkreditsystems geblacklisted werden. Es lieg auf der Hand, dass Kunden von geblacklisteten Unternehmen auf Abstand gehen werden.

Können Sie uns ein typisches Szenario im Einkauf benennen?

Senff: Das Unternehmen A hat aus Gründen der Risiko-Diversifizierung für eine Komponente mehrere Zulieferer involviert. Gehen wir von 3 Zulieferern aus. Dabei wurde angenommen, dass diese 3 Zulieferer komplett unabhängig voneinander tätig sind. Dies ist die Theorie. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass alle Zulieferer miteinander verbunden sind. Also bspw. alle den gleichen finalen Eigentümer oder CEO haben. Risiko-Diversifizierung ist damit nicht möglich. Das Unternehmen A kann auch leicht ausgespielt werden. Auch bei den Preisen. Dies haben wir bereits häufig festgestellt.

Können Sie uns ein typisches Szenario im Vertrieb benennen?

Senff: Der Leiter Einkauf des Kunden sagt dem Unternehmen A, dass der Kunde nur dann beim Unternehmen A (und nicht bei der Konkurrenz B einkaufen wird), wenn das Unternehmen A auch eine Service-Vereinbarung mit einem Agent abschließt. Die Service-Vereinbarung ist jedoch nur eine Scheinvereinbarung und rechtlich unwirksam. Der Kaufvertrag zwischen A und dem Kunden könnte auch unwirksam sein. Keine solide rechtliche Basis, um Geschäfte zu machen. 

Schauen wir auf das neue Jahr. Welche Themen werden auf Sie zu kommen?

Senff: Dies ist der Blick in die Glaskugel, die ich leider nicht habe. Ich sehe gegenwärtig 3 Themen:

  1. Das Corona-bedingte Risikomanagement wird sicherlich fortgeführt. Da ist viel liegengeblieben.
  2. De-Risking mit Blick auf die geopolitische Situation global. Mandanten wollen wissen, was De-Risking mit Blick auf das China-Geschäft bedeutet.
  3. Compliance in der Restrukturierung kommt zurück. Dies wird gerade für die Unternehmen wichtig, die einen Exit oder ein Downsizing avisieren. 

Hinzu kommen die neuen regulatorischen Entwicklungen. Das chinesische Strafrecht wird zum 1. März geändert. Danach wird es neue persönliche strafrechtliche Haftungsrisiken für das Management in ausländisch-investierten Gesellschaften in China geben. Am 1. Juli wird das neue chinesische Gesellschaftsgesetz in Kraft treten. Dies wird konkrete Folgen für die Corporate Governance in Unternehmen in China haben. Zudem erwarten wir neue regulatorische Vorgaben mit Blick auf das chinesische Datenschutzrecht. Vielleicht wird auch der Gesetzentwurf zum chinesischen Sozialkreditsystem umgesetzt. Dieser Entwurf besteht bereits seit Ende 2022 und sollte jederzeit in Kraft treten. 

Lassen Sie uns über De-Risking sprechen. Welche Folgen wird die De-Risking-Strategie der Bundes­regierung für deutsche Unternehmen mit China-Geschäft haben?

Senff: Deutsche Unternehmen werden sich überlegen, ob ihr gegenwärtiges Set-Up in China qualitativ und quantitativ bestehen bleiben soll oder nicht.

Nehmen wir den Einkauf als Beispiel: De-Risking bedeutet, die gegenwärtige Einkaufspraxis auf den Prüfstand zu stellen. Müssen alle Produkte in China eingekauft werden? Habe ich genügend alternative Zulieferer, die bei einem Zulieferer-Ausfall einspringen können? Wurden die chinesischen Zulieferer alle solide geprüft mit Blick auf Compliance und Ausfallrisiken? Wurden Exklusivitäten gegenüber Geschäftspartnern eingegangen, die ein erhöhtes Risikoprofil aufweisen?

Was bedeutet De-Risking mit Blick auf die Entscheidungen der Unternehmens­leitung?

Senff: Die Risiken, die sich aus Auslandsgeschäften ergeben, gerade mit Blick auf geopolitische Risiken, müssen stärker in den Blick genommen werden, um dem Vorwurf der Verletzung von Sorgfaltspflichten entgegenzutreten.

Was heißt das konkret?

Senff: Die Unternehmensleitung in Deutschland wird sich mehr Zeit nehmen, um Entscheidungen im China-Geschäft zu treffen. Entscheidungen über neue China-Investments werden strenger geprüft. Kapitalerhöhungen werden in der Zukunft ggfs. durch Gesellschafter-Darlehen oder ganz durch lokale Finanzierungen ersetzt.

Sehen Sie einen Trend zum China-Exit aufgrund der De-Risking-Strategie?

Senff: Nein, dies sehe ich gegenwärtig nicht und ich sehe auch keinen signifikanten Trend in diese Richtung. Vielleicht kommt dies irgendwann. Dies ist jedoch spekulativ. Die gegenwärtigen China-Exits, die mir zumindest bekannt sind, erfolgen nicht aufgrund der De-Risking-Strategie der Bundesregierung, sondern weil das Management in Deutschland zu der Auffassung gelangt ist, dass das China-Geschäft schlicht nicht profitabel ist. Die Entscheidungen hierzu wurden häufig bereits getroffen, bevor die Bundesregierung am 13. Juli 2023 ihre De-Risking-Strategie verabschiedet hatte. Am Ende des Tages muss sich schließlich jedes Investment lohnen.

Herr Senff, vielen Dank für das Gespräch. 


Philipp Senff ist Rechtsanwalt, Partner und Head of Compliance bei CMS China. Herr Senff berät seit mehr als 15 Jahren ausländische Unternehmen zu Compliance und Risikomanagement in China und Deutschland. Sein Team ist spezialisiert auf die Prävention von Compliance-Risiken, Internal Investigations und Compliance in der Restrukturierung.

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